Der Dienstagmorgen im Januar 2012 auf Norderney, stellte sich mit einem klaren, blauen Winterhimmel vor, Eine Verlockung zum Strandspaziergang. Da die für mich im Badehaus reservierten Anwendungen erst am Nachmittag eingetragen sind, bleibt genügend Zeit für einen ausgiebigen Fußmarsch am Meer. Kurzes Frühstuck, die warme Stiefel, Mantel, Handschuhe, Mütze an und raus, Raus an die frische Meeresluft, ein sanfter Wind und leises Wellenrauschen spiegeln den momentan ruhigen Morgen wieder. Den Zuckerpatt hoch, die Aushangtafel mit den Terminen für Ausflugsfahrten und Wattwanderungen war fast leer, nur wenige Termine, davon die meisten auch schon vorbei, spiegelten die Ruhephase der Insel wieder. Die Dünenlandschaft links und rechts von mir zeigt sich nur spärlich bewachsen, und überwiegend braun und grau. Ab und an zeigten sich immergrüne Gewächse. An der bekannten Gabelung des Zuckerpatts halte ich mich links, Richtung Meer. Rechts führte der Weg durch die Dünen zur *Weißen Düne*. Kurz darauf werde ich von dem immer wieder faszinierenden Blick auf das Meer begrüßt. Bei diesem herrlichem, winterblauem Himmel bietet sich ein längerer Aufenthalt am Strand an, somit rechts runter. Es sind doch einige Strandspaziergänger zu sehen, gut verteilt über den Strand, Ganz nah und auch weit entfernt, dick eingemummelt oder auch nur im leichteren Sportdress. Der Sand zeigt um diese Jahreszeit eine völlig andere Struktur gegenüber der mir bekannten von meinen Aufenthalten. So ist also der Januar am Meer, denke ich immer wieder. Gefällt mir.
Tiefe Rillen haben die sich zurückziehenden Wellen am Strand hinterlassen, Priele wo ich sie noch nie gesehen haben. Auch die Muscheln sind viel weiter höher am Strand abgelegt worden. Die Urgewalt des Meeres wird hier deutlich aufgezeigt. Auch wenn es momentan ganz leise und fast unbewegt weit unten am Strand verweilt, Ebbe. Tiefstand, der Strand ganz breit, weit hat es sich zurückgezogen, das Meer. Neugierig marschiere ich auf dem festen Sandboden weiter, die Sonne begleitet mich, ebenso das Gekreische der Möwen und das leise, aber stete Rauschen der Brandung. Ab und bücke ich mich nach angeschwemmten Muscheln, auch sie erscheinen mir größer und teilweise anders gemustert, geformt. Ich erkläre es mir mit Winterunruhen, unten im Meer, das dann anderes Meeresgut mit sich bringt und an den Strand wirft. Weiter, Richtung Norden wandere ich, die Priele werden immer großflächiger, kleine Kraterseen, so nenne ich sie.
Ich versuche mir vorzustellen, wie mächtig das Meer hier getobt haben muss, um solche Spuren zu hinterlassen. Auch das Strandgut wird vielfältiger, bizarr teilweise. Piraten, entern, alles über Bord, sind meine Gedanken bei diesem Anblick. Algen und Schiffstaue bilden unwillkürliche Netze für die Dinge, die das Meer loswerden möchte und hier am Strand ablegt. Das Strandgut spiegelt leider auch wieder, dass viel Plastikmüll im Meer landet, wird denn nicht darüber nachgedacht, welcher Schaden damit angerichtet wird?
Und dann auch das noch, ein Schrubber liegt vor mir. Ebenfalls Strandgut? Neugierig, da so schön glänzend, bücke ich mich, um Ihn näher zu betrachten. Wie lange mag der schon im Meer unterwegs sein, hat er Kalk oder was auch immer angesetzt, damit er jetzt hier im Sonnenlicht so schön glänzen kann. Hübsch sieht er aus, der Schrubber, auch wenn Abfall. Ich gehe noch weiter in die Hocke, da ich mir diesen Glanz etwas nähe ansehen möchte. Da bewegt sich doch der vordere, oder ist es der hintere Teil dieses vermeintlichen Schrubbers, eine kleine schwarze Mäuseschnautze streckt sich mir entgegen. Sinnestäuschung, verursacht durch die Bewegung der Wellen? Nein, ein weiteres Mal und diesmal weit höher als zuvor wird eine kleine schwarze Mäuseschnautze nach oben gestreckt, diese schnuppert ganz vorsichtig, aber äußerst neugierig in die kühle Meeresluft hinein und wird zurückgezogen. Verwundert bleibe ich vor diesem Wesen stehen, was ist das? Ein etwa 30cm langer Schrubber, der im Sonnenlicht glänzt und eine Mäuseschnautze hat. Bei den vielen Muscheln, die am Strand rumliegen, sind auch die länglichen Schwertmuscheln. Ich suche mir eine stabil aussehende aus und versuche damit ganz mutig das lebende Strandgut umzudrehen. Nach mehreren Versuchen blicke ich dann auch einen unbehaarten, borstenfreien, weißen Bauch, ähnlich einer Kellerasse. Nun ist auch eine regelmäßige Bewegung, wie Ein- und Ausatmen zu erkennen. Was ist das für ein Wesen? Andere Spaziergänger sind mittlerweile auf mich aufmerksam geworden, ich bitte sie, etwas näher zu kommen und mir die Lösung zu nennen. Aber Niemand konnte meine Frage beantworten, ein unbekanntes Meereswesen. Punkt. Einige Zeit blieb ich dann bei dem Wesen, natürlich habe ich es auf den Bauch zurückgedreht, die Wellen umspielen es mittlerweile. Die Flut kommt, ich hoffe, es findet den Weg in sein Revier, wo immer es auch lebt.
Auch ich trete den Heimweg an, paar Fotos habe ich als Beweis mitgenommen, sonst glaubt es mir keiner, eine Besen, der glänzt, der eine Mäuseschnauze hat und einen weißen Bauch, Klingt ja auch zu verrückt. Seemannsgarn.
In der Wohnung angekommen, die Sonne steht schon ganz tief, packe ich meine Tasche für den anstehenden Aufenthalt im Badehaus. Der letzte Bus bringt mich wieder zum Kurplatz. Im Badehaus empfängt mich die wohlige Wärme, verbunden mit dem ganz speziellen Duft nach Salzwasser und Sauna. Meinen Lieblingsplatz in der ersten Etage, gegenüber dem flackernden Kamin konnte ich auch wieder belegen und somit hatte ich bald viel Zeit und genug Muße über die Strandbegegnung nachzudenken. Es ließ mir keine Ruhe. Was ist das für ein Wesen? Bald ist dann Zeit für eine kleine Zwischenmahlzeit, vorne an der Theke, neben dem Kamin. Das sehe ich als gute Gelegenheit von meinem Erlebnis am Nachmittag zu berichten, vielleicht wissen die Schwimmmeister, sie sind ja sonst die Bademeister am Strand, was das für ein Wesen war.
Erst wurde ich etwas zweifelnd angeschaut, aber dann kannte einer von Ihnen die Antwort, zeigt mir am Laptop Bilder. Es ist eine Seemaus, was ich da gesehen hatte. Normalerweise leben Seemäuse unsichtbar im Wattenmeer unter der Oberfläche. Und da sie recht selten sind, sind sie auch 2007 zum Wurm des Jahres ernannt worden. Somit wurde mir gratuliert, da ich etwas entdeckt und fotografiert habe, das nur wenige Menschen zu sehen bekommen. Als so ein ganz besonderes Erlebnis habe ich es für mich festgehalten. Eine Seemaus, kein Schrubber.
In den nächsten Tagen fragte ich immer die Leute, mit denen zufällig ein Gespräch entstand, ob Sie je eine Seemaus gesehen oder zumindest von Ihr gehört hatten, meistens kam eine Nein oder die Frage, „Was ist denn das“ als Antwort. Erst recht die Bestätigung dafür, dass ich etwas ganz Besonderes gesehen habe, ein gutes Vorzeichen für die folgenden Tage auf Norderney. Als zusätzliches Seherlebnis war am Donnerstag ein riesiger Regenbogen, der sich über die komplette Insel zu spannen schien. Er war so nah und so leuchtend in seinen Farben, das ich meinte ihn mit meinen Händen berühren zur können.
Wo ist jetzt der Schatz, der am Ende eines Regenbogens sein soll. Auf der linken Seite, heißt in den Dünen oder am Strand oder auf der rechten Seite, am Hafen, im Wattenmeer oder in der Surfbucht?
Meine Interpretation, Norderney ist der Schatz, von der wilden Seeseite bis hin zur ruhigen Seite die sich parallel zum Festland erstreckt,
Soviel von meiner Reise im Januar 2012 nach Norderney. Mit dem Wissen im Mai wiederzukommen, war die Abschiedswehmut von kurzer Dauer.
Rosemarie , Januar 2012
Mittlerweile sind sechs Reisen, Urlaube auf Norderney dazugekommen.
Rosemarie , März 2016
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