Das Okerkind

Das war der Anfang vor einiger Zeit.
Inzwischen ist mit der Oker viel Wasser den Harz hinuntergeflossen.
Vorbei auch an Schwülper – meinem Heimatort.
Um dann auf Umwegen in die Nordsee zu gelangen – mein Daheim seit Jahren.

Das Okerkind
Das Okerkind

Es ist Sommer, es ist ein heißer Tag.

Schäfchenwolken animieren zum Träumen.
Sie verwandeln sich, von jetzt noch einem liebenswürdigen Seepferdchen,
zu einem feuerspeienden Drachen im nächsten Moment.

Umrandet von mystischen Hainen findet der Fluß seinen Weg.
Viele Kilometer ist jeder einzelne Tropfen geflossen.
Seit er die Quelle verlassen hat, sich millionenfach vermehrt und ist nun zu einem reißenden Strom geworden.
Sein Weg ist fast zu Ende, bald schon wird sich seine Süße mit dem Salz des Meeres vereinen.

Schließe Deine Augen.
Konzentriere Deine Gedanken auf diesen Fluß und Du wirst erstaunliche Geschichten zu hören bekommen.
Komödien und Tragödien, Geschichten über Liebe und Leidenschaften,
über Freude und Trauer. Tränen der Freude und des Leides führt er mit sich.

Aber das ist nicht alles, was dieser Fluß Dir zu bieten hat.
Bist Du bereit, so hörst Du wundersame Klänge; es ist seine Melodie.
Angezogen durch das Vispern und Rauschen der Wellen haben sich die verschiedensten Gestalten und Wesen in und um den Strom versammelt.
Fische, Schlangen, Frösche, aber auch Wassergeister.
Biber, Störche, Einhörner, aber auch Nymphen.

Es ist Sommer und es ist noch immer ein heißer Tag, es ist ein besonderer Tag.
Aus den Tiefen des Stroms erklingt ein immer lauter werdender Trommelschlag.
Aus der Tiefe des Haines erklingt das fröhliche Spiel einer Flöte.
Lauter und lauter wird die Musik, wilder und ungezügelter.

Dann wird es still, die Wolken bleiben stehen, der Fluß hört zu fließen auf.
Der Atem der Wesen stockt, selbst Wassergeist und Nymphe verharren.
Nun ist der Augenblick gekommen, das Okerkind ist geboren.

Rosemarie; Januar 2004